3. Krisenverordnung
Im Falle von verschiedenen Krisenszenarien können die Regelungen in den europäischen Mitgliedsstaaten massiv verschärft werden. Ein Mitgliedsstaat kann solch eine Krise nicht selbstständig ausrufen, sondern muss einen Antrag stellen, dem EU-Kommission und EU-Rat zu-stimmen müssen. Angesichts der politischen Stimmung im Rat ist jedoch davon auszugehen, dass solche Anträge regelmässig genehmigt werden und der Ausnahmezustand zum Normalzustand wird.
Es gibt drei Krisenszenarien:
- Eine «höhere Gewalt»: dabei geht es um Umstände, welche ungewöhnlich und unvorhersehbar sind und es dem Staat verunmöglichen, ihren asylrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen (z.B. Naturkatastrophen).
- «Massenankünfte»: Ab welcher Anzahl von «Massenankünften» gesprochen wird, ist aber nicht klar.
- «Instrumentalisierung»: Wenn andere Staaten oder «nichtstaatliche Akteure» versuchen sollten, einen Staat zu destabilisieren, in-dem Menschen an die Grenzen gelassen werden oder dorthin gebracht werden, kann eine Krise ausgerufen werden. Das bekannteste Beispiel, welches als eine solche «Instrumentalisierung» be-zeichnet wurde, war die Situa-tion an der belarussisch-polnischen Grenze im Herbst 2021, die bis heute besteht.1
Wenn diese Krisenverordnung in Kraft tritt, bedeutet es, dass die Grenz-verfahren statt 12 bis zu 18 Wochen dauern können. Bei «Massenankünften» landen nicht nur Menschen, die unter die 20% Schutzquote fallen, im Grenzverfahren, sondern auch Menschen aus Staaten mit einer europäischen Schutzquote von bis zu 50%. Im Falle einer «Instrumentalisierung» landen sogar alle ankommenden Menschen direkt im Grenzverfahren.
Es wird befürchtet, dass die Seenotrettung als Instrumentalisierung bezeichnet werden könnte und dadurch die Krisenverordnung ausgelöst wird. Was dann bedeutet, dass alle ankommende Menschen von einem Schiff direkt in ein Grenzverfahren kommen.
- Lukaschenko äusserte im Juli 2021 öffentlich, dass er Menschen, die Richtung Westen unterwegs sind, nicht mehr zurückhalten würde. Die ankommenden Menschen erlebten und erleben noch heute systematische Gewalt durch polnische und belarussische Grenz-beamte. ↩︎