Die Frage nach der Organisation der Bundesasyllager ist eine verworrene Angelegenheit. Neben dem Staatssekretariat für Migration (SEM) mischen diverse andere Player mit. Wer dabei wofür verantwortlich ist, bleibt auch jenen unklar, die dazu recherchieren. Hier ein erster Überblick:
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) ist die Verwaltungseinheit auf Bundesebene, die die Asylverfahren und die Unterbringung von Asylsuchenden verwaltet. Das SEM lagert viele seiner Aufgaben an nichtstaatliche Organisationen und externe Firmen aus. Den Auftrag, das Bundesasyllager Basel zu betreiben, erhielt die private ORS Service AG. Die ORS ist seit Jahrzehnten im «Asylbusiness» der Schweiz tätig. In der Schweiz ist die ORS mit einem Umsatz von 100 Millionen Franken Branchenführerin. Als gewinnorientiertes Unternehmen gehört sie über Holdings einer Private-Equity-Firma in London.1 Seit vielen Jahren steht die ORS in der Kritik, aus dem «Elend der Geflüchteten» Profit zu schlagen.2 Sozialarbeiter*innen wiesen kürzlich daraufhin, dass die ORS keine qualifizierten Arbeitskräfte anstellt und so der «komplexen Aufgabe der fachlichen Arbeit mit Geflüchteten» kaum gerecht werden kann.3
Trotz anhaltender und besorgniserregender Kritik vergibt das SEM weiterhin Millionenverträge an die ORS. Wie genau diese aussehen ist äusserst unklar. Das Medienprojekt Republik versucht schon seit Längerem, die Verträge des Sozialamts Zürich an die ORS und die AOZ (Asylorganisation Zürich) einzusehen und wurde mehrmals mit fragwürdiger Argumentation abgewiesen. Ende April 2020 hat die Republik diesen Fall vor Gericht gewonnen und damit im Kampf um Transparenz ein Zeichen gesetzt.4 Unklar ist auch die Frage, wer die Tätigkeiten der ORS beaufsichtigen soll. Das Bundesasyllager ist eine Institution auf Bundesebene. Wo aber welche Zuständigkeiten liegen und was für Kontrollinstanzen eingebaut sind, bleibt völlig intransparent. So haben sich beispielsweise bei der Umsetzung der Corona-Massnahmen im Bundesasyllager Basel das SEM, der Kantonsarzt und die ORS gegenseitig die Verantwortung zugeschoben.5 Eine Interpellation zu dieser Frage wurde in Bezug auf das Bundesasyllager Basel am 22. / 23. April 2020 im Grossen Rat eingereicht. Die Antwort des Regierungsrats erklärt zwar, dass dem Kanton gewisse Aufsichtspflichten zukommen, allerdings ohne Ausführungen, wie diese vom Kanton umgesetzt werden sollen.6
Durch die neue Asylgesetzgebung befindet sich seit vergangenem März auch die unentgeltliche Rechtsvertretung im gleichen Gebäude wie das SEM. Im Bundesasyllager Basel hat das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS) das Mandat für die Rechtsberatungen inne.7 Die Pauschalen, die das SEM für die Arbeit der Rechtsvertretung beschlossen hat, liegt zwischen 420 und 455 Franken pro Asylsuchende*n. Zu den Aufgaben der Rechtsvertretung gehört die Begleitung der Asylsuchenden bei den Anhörungen, Einarbeitung ins Dossier, Verfassen von Stellungnahmen und Eingaben, Einholung ärztlicher und psychiatrischer Gutachten sowie Vorbereitungs- und Vertiefungsgespräche. Mit den gängigen anwaltschaftlichen Tarifen ab 200 Franken pro Stunde müsste die Rechtsvertretung alle genannten Aufgaben für einen Fall also innert zwei Stunden verrichten.8 Es ist unwahrscheinlich, dass eine Rechtsvertretung all diese Tätigkeiten während zweier Arbeitsstunden sorgfältig ausführen kann. Zudem ist die Rechtsvertretung explizit vom SEM dazu angehalten, nur in aussichtsreichen Fällen Beschwerde gegen den Asylentscheid einzureichen. Wenn also ein Fall im Voraus als «nicht aussichtsreich» eingestuft wird, tritt die Rechtsvertretung ab. Bereits vor der Asylgesetzrevision wurde darauf hingewiesen, wie problematisch es ist, wenn das HEKS direkt vom SEM angestellt ist. Im Fall einer Beschwerde geht die Rechtsvertretung gegen ihren eigenen Arbeitgeber vor.9 Ob eine solche Dienstleistung noch «Rechtsvertretung» genannt werden darf, ist zu bezweifeln.
Und schliesslich das Mandat des Sicherheits- und Ordnungsdienstes: Dieses hat für das Bundesasyllager Basel sowie für viele weitere Asyleinrichtungen des Bundes die private Securitas AG übertragen bekommen. Seit über einem Jahr sind in mehreren Bundesasyllagern Fälle von physischen Übergriffen vom “Sicherheitspersonal” auf Asylsuchende bekannt. Mitarbeitende von Securitas und Protectas verschlagen systematisch Asylsuchende in den Lagern. Beweise gegen die Täter*innen zu sammeln ist fast unmöglich: Die Securitas im Camp 50 begehen ihre Gewalttaten in den wenigen Zonen beim Eingang zum Lager oder in der “Zelle” (dem “Besinnungsraum”), wo es keine Überwachungskameras hat. Ausserdem ereignen sich die meisten Übergriffe nachts, wenn wenig Augenzeug*innen da sind. Und schliesslich wird den Erzählungen der Asylsuchenden bei einer Aussage-gegen-Aussage-Situation weniger Gewicht beigemessen. Ausführliche Berichte von Gewaltbetroffenen und kontextualierende Texte findet ihr unter der Rubrik “Securitas-Gewalt im Lager” auf dieser Webseite.
- Carlos Hanimann: «Die Republik erkämpft sich Einsicht in Millionenverträge im Asylwesen», Republik, 1.5.2020. Für die Asylheime, in denen Geflüchtete leben, die noch im alten Asylsystem verwaltet werden, sowie Asylheime, in die Asylsuchende im Rahmen des «erweiterten Verfahrens» im neuen System transferiert werden, liegen in der Verantwortung der Kantone. ↩︎
- Siehe beispielsweise: JanJirát/CarlosHanimann: «Die Asylprofiteure», WOZ, 8.12.2011; Jan Jirát/Carlos Hanimann: «Geschäftsgeheimnis Asylzentrum», WOZ, 7.11.2013; Daniel Ryer/Jan Jirát: «Profiteure des Elends», WOZ, 23.2.2017; Solidarité sans frontières/VPOG- NGO/Demokratische Jurist_innen Schweiz: «Das SEM betreibt aktiv Lohndumping!», Medienmitteilung vom 19.03.2019. ↩︎
- KRISO – Forum für kritische Sozialarbeit: «Offener Brief an die ORS. Fachliche und kritische Soziale Arbeit statt Privatisierung bei der Arbeit mit Geflüchteten!», Basel 7.4.2020. ↩︎
- Carlos Hanimann: «Die Republik erkämpft sich Einsicht in Millionenverträge im Asylwesen», Republik, 1.5.2020. Auch sonst ist das Interesse von Medienschaffende unerwünscht: Silvana Schreier zu einer Aktion beim Ausreisezentrum Atlas in Allschwil (vom Bund betrieben): «Anni Lanz hat Geschenke an Asylsuchende verteilt. Während Journalisten per Telefon verscheucht wurden», bz, 20.12.2019. ↩︎
- «Mehrere Corona-Fälle im Basler Bundesasylzentrum», Regionaljournal Basel, 20.3.2020; «Virus im Heim: Corona-Kampf im Asylwesen», SRF Rundschau, 1.4.2020; Silvana Schreier: «Trotz Coronakrise: Bund bringt Asylsuchende in Zivilschutzanlage unter», bz, 8.4.2020. ↩︎
- Regierungsratsbeschluss vom 5. Mai 2020 zur Interpellation Nr. 32 betreffend «Asylunterkünfte in der Corona-Krise», Nr. 20.5125.02.
↩︎ - Zusätzlich befindet sich auch noch die Rückkehrhilfe, die International Organisation of Migration, im selben Gebäude. ↩︎
- Medienmitteilung des VPOD-NGO, der Demokratischen Jurist_innen Schweiz und von Solidarité sans frontières: «Das SEM betreibt aktiv Lohndumping», 19.3.2019. ↩︎
- Freiplatzaktion Basel: «Kritik an der Neustrukturierung», in: Flora 12, Ausgabe 3, Dez. 2018, S. 4 – 7. ↩︎