«Wenn ein Kind Hunger hat, muss es eben warten»

Die Kritik an den Zuständen im Basler Bundesasylzentrum wird immer lauter. Es fühle sich wie ein Gefängnis an, sagen Bewohner.

Das Bundesasylzentrum an der Freiburgerstrasse 50 wird von Bewohnern «Camp 50» genannt – weil es sich wie ein Gefängnis anfühle.


26.02.20 von Nina Jecker

Erol* und Kalel* sitzen in einem Lokal im Kleinbasel. Die beiden Männer stammen aus der Türkei. Weil sie sich im Heimatland für die Rechte der Kurden und soziale Gerechtigkeit eingesetzt hatten, sind beide laut eigenen Angaben von der Polizei schikaniert und mehrfach verhaftet worden. «Es war traumatisierend», sagt Kalel knapp dazu. Um der Verfolgung zu entgehen, sind beide letztes Jahr in die Schweiz geflüchtet. «Das Land der Demokratie», sagt Erol.

Das Staats­sekretariat für Migration (SEM) wies sie dem Basler Bundesasylzentrum an der Freiburgerstrasse 50 zu – «Camp 50» nennen es die Bewohnerinnen und Bewohner, weil die Zustände eher an ein Gefängnis als ein Asylzentrum erinnern würden.

Auch Zürcher Zentrum steht in der Kritik

Die maximale Aufenthaltsdauer in den Bundesasylzentren beträgt 140 Tage, dann werden die Flüchtlinge den Kantonen übergeben. Kalel beschreibt seine Zeit im Bundeszentrum als «menschenunwürdig». Mit dieser Einschätzung ist er nicht alleine. Der Sozialvorstand der Stadt Zürich hat im November den vergleichbaren Alltag im Bundesasylzentrum Zürich mit den gleichen Worten beschrieben. Er kritisierte vor allem die Ausgangsregelungen und das «Filzen» von Kindern und Babys am Eingang.

Erol und Kalel gehören zur Gruppe «Drei Rosen gegen Grenzen», die sich aus Menschen aus der Schweiz sowie aktuellen und ehemaligen Bewohnern des «Camp 50» zusammensetzt. Sie haben Beschwerdebriefe verfasst, in denen es unter anderem um die Ernährung geht. Während die Bewohner in kantonalen Zentren in der Regel selber kochen können, ist das im Bundesasylzentrum nicht möglich. Hier liefert ein Caterer. Laut Erol bestehe das Essen nur aus Reis oder Nudeln mit Sauce, Vitamine fehlten weitgehend. Nur mittags gebe es Salat oder ein Stück Obst, dazwischen nichts.

Ausgangssperre ab 17 Uhr

Die Familien würden sich um die Versorgung ihrer Kinder sorgen. Diese bekämen zwar zusätzlich zum Glas Milch am Morgen noch eines am Abend und ein Joghurt extra, aber nicht mehr. «Es gibt auch kein Milchpulver während der Nacht oder Möglichkeiten, im Zimmer ein Fläschchen warm zu machen. Wenn ein Kind Hunger hat, muss es halt warten», sagt Erol.

Die Betreiberin des Zentrums ist die Firma ORS. Diese fiel in der Vergangenheit im Zusammenhang mit einer Asylunterkunft in Aesch negativ auf. Dort belegten Protokolle einerseits die Anwendung von Kollektivstrafen, anderseits soll es laut Bewohnern nicht ausreichend geeignete Nahrung für Säuglinge und Kleinkinder gegeben haben.

Lukas Rieder vom Staatssekretariat für Migration (SEM) weist die Vorwürfe im Fall Freiburgerstrasse zurück. Es existiere ein ausgewogener Menüplan mit Fokus auf abwechslungsreiche und gesunde Ernährung.

«Abgesehen von vereinzelten Reaktionen sind uns bisher aber keine grösseren Reklamationen von Asylsuchenden bekannt.»
Firma ORS, Betreiberin des Asylzentrums

Zu jeder Hauptmahlzeit gebe es Salat und/oder Früchte, der Kalorienbedarf werde immer abgedeckt. «Die erste Portion ist so bemessen, dass möglichst kein Food-Waste entsteht», räumt Rieder ein. Es bestehe aber die Möglichkeit des Nachschöpfens. Für Kleinkinder werde altersgerechte Nahrung abgegeben, die von den Müttern selber zubereitet werden könne. Der Menüplan wiederhole sich alle 14 Tage, ergänzt ORS-Sprecher Lutz Hahn. Aufgrund der unterschiedlichen Ernährungskulturen seien die Erwartungen an die Mahlzeiten verschieden. «Abgesehen von vereinzelten Reaktionen sind uns bisher aber keine grösseren Reklamationen von Asylsuchenden bekannt.»

Erol und Kalel kritisieren auch die hygienischen Zustände. Rund 200 Männer leben im Zentrum, dazu kommen etwa 50 Frauen und Kinder. Alle sind in Zimmern für zehn bis zwölf Personen untergebracht, Privatsphäre ­und Rückzugsmöglichkeiten würden fehlen.

Ausserdem gebe es nur fünf Toiletten für 200 Männer, die meistens besetzt und schmutzig seien. Kalel zückt ein Handy, um die hygienischen Zustände auch an anderen Stellen im Zentrum aufzuzeigen. Auf einem Video ist zu sehen, wie neben einem gemeinsam genutzten Wasserhahn Ungeziefer über die Wände rennt. Das gesamte Zentrum werde täglich professionell gereinigt und desinfiziert, sagt SEM-Sprecher Rieder dazu. Sollte tatsächlich Ungeziefer festgestellt werden, werde der Kammerjäger aufgeboten.

Um 17 Uhr gehen die Türen zu

Ein weiteres Thema ist die fehlende Bewegungsfreiheit. Um 17 Uhr müssen alle im Zentrum sein, auch im Sommer, auch an den Wochenenden. Zwar könne man ein Wochenende ausserhalb verbringen, dann dürfe man aber erst am Sonntag um 20 Uhr wieder hinein. Nach 22 Uhr darf niemand mehr das Zimmer verlassen, das gilt auch für Mütter mit weinenden Kindern. Hier verweist Rieder vom SEM auf die schweizweit geltende Hausordnung, stellt aber eine Erleichterung in Aussicht: «Um den Bedürfnissen der Asylsuchenden entgegenzukommen, sollen die ­Ausgangszeiten demnächst auf ­20 Uhr ausgeweitet werden.»

Ein weiterer Punkt sind die Kontrollen am Eingang, auf denen das SEM aus Sicherheitsgründen besteht. Je nach Mitarbeiter, der gerade Dienst habe, werde man dabei jedes Mal auch an intimen Stellen abgetastet, sagt Kalel. Das sei «extrem erniedrigend». Für Frauen sei je es nach Religion besonders unangenehm, dass sie zwar von einer Frau, aber auch im Beisein männlicher Bewohner kontrolliert würden. Die Kontrolle findet für jedes Alter statt.

«Kinder haben Angst»

Laut SEM liegt das Augenmerk bei Kindern aber vor allem auf Kinderwagen und anderen Transportmitteln. Ein Abtasten finde bei den Kleinen nicht statt, die Eltern müssen aber zum Beispiel die Jacke des Kindes öffnen. «Das ist einschüchternd», kritisiert Erol. «Es gibt Kinder, die aus Angst beim Betreten bereits von sich aus die Arme heben und sich breitbeinig hinstellen.» Wer etwas von ausserhalb mitbringen möchte, muss wie auch in anderen Bundeszentren eine Quittung vorweisen können. «Sonst gehen sie davon aus, wir hätten es gestohlen, und nehmen es uns weg.»

Wie es für Erol und Kalel weitergeht, ist unklar. Beide warten weiterhin auf ihren Asylentscheid. Die Gruppe «Drei Rosen gegen Grenzen» fordert derweil nicht nur eine Änderung der jetzigen Zustände, sondern die Abschaffung aller solcher «Lager».

*beide Namen geändert