18.4.2021. In Basel-Stadt werden abgewiesene Asylsuchende in der Notschlafstelle untergebracht. Diese Praxis bedeutet für tausende Menschen ein Leben in der Leere: ohne Zuhause, ohne Recht auf Arbeit oder Ausbildung, ohne Perspektiven.
„Das System der ‚Nothilfe‘ für Menschen, die von der Schweizer Asylbürokratie abgewiesen wurden, ist unmenschlich. Wir sollen so schlecht behandelt werden, dass wir ‚freiwillig‘ in die Verhältnisse zurückkehren, die uns dazu gebracht haben, ein Land zu verlassen. Die Situation als abgewiesene Asylsuchende hinterlässt uns komplett blockiert. Wir verschwenden unsere Lebenszeit mit sinnlosem Warten unter unmenschlichen Bedingungen.“, schreibt ein schweizweiter Zusammenschluss von Betroffenen im September 2020.
Wir wollen nicht in einer Stadt und einem Kanton leben, der ein solches System durchsetzt. Widerstand und Alternativen aufbauen ist angesagt: Öffnen wir Wohnraum für geflüchtete Menschen! Durchbrechen wir die Isolation von Menschen in Lagern und psychischen Blockadezuständen!
Werdet aktiv, Stadt für alle!
#GemeinsamgegenLeere #WemgehörtderRaum?
Hintergrund zur Nothilfe Basel-Stadt
Was beinhaltet die „Nothilfe“ in Basel-Stadt?
Die abgewiesene Person muss sich mehrmals pro Monat beim Migrationsamt oder der Notschlafstelle melden und kriegt 12 Franken pro Tag Nothilfegeld ausbezahlt. Dies muss für Essen, Kleider, ÖV, Handy-Abo und alles andere reichen. Dazu gibt’s Gutscheine für die Notschlafstelle. In die Notschlafstelle muss die betroffene Person um 20 Uhr abends eintreten und muss sie um 8 Uhr morgens wieder verlassen. Den Tag über darf sie nicht rein und kann auch nicht an ihr dort deponiertes Gepäck (maximal 1 Stück) heran. In der Notschlafstelle darf sie nicht kochen, was ein finanzieller Nachteil ist, denn sie muss fertige Mahlzeiten ausserhalb kaufen. Somit relativiert sich auch der „hohe“ Beitrag von 12 Franken am Tag, den Basel-Stadt gerne unterstreicht. Tagsüber hat die betroffene Person also keinen Zugang zu sanitären Anlagen, zu Orten zum Ausruhen, zu Schutz vor Kälte oder Hitze. Asylsuchende in der Notschlafstelle gelten bei Fachpersonen als obdachlos. Stress und Perspektivenlosigkeit sowie Angst vor einer Ausschaltung kommen noch dazu. Abgewiesenen Asylsuchenden ist es gesetzlich verboten zu arbeiten oder eine Ausbildung zu machen, offizielle Deutschkurse stehen ihnen nicht offen. Nur besonders vulnerable Personen und Familien können in Asylliegenschaften (oft mit Gitterzaun und Eingangskontrolle) wohnen, alles anderen Bedingungen bleiben gleich. Im Februar 2021 hat der Grosse Rat einen Vorstoss zur offiziellen Gestattung der Übernachtung bei Familien überwiesen.
Einschätzungen
Die Soziologin Jana Häberlein betonte bei der Präsentation ihres neuen Berichts zur Nothilfe in der Region Basel (2020), dass das Basler Nothilfesystem für «tausende von Menschen ein Verharren unter menschenunwürdigen Bedingungen, über Jahre hinweg» bedeutet. Die Nothilfe sei unzumutbar. Noch deutlichere Worte findet Urs Ruckstuhl in einer Studie zu den psychischen Gesundheitsfolgen der Nothilfe im Kanton Zürich: «Das Nothilferegime setzt ganz unverbrämt auf Abschreckung und Zermürbung. […] Das menschlichen Leid, die psychischen und gesundheitlichen Kosten dieser Praxis, die einseitig die Betroffenen tragen, werden über politische Stimmungsmache, mediales Verschweigen und die konsequenten Isolations- und Abschottungsmassnahmen rund um die Nothilfelager von der Bevölkerung ferngehalten.». Das Staatssekretariat für Migration (SEM) bemüht sich nicht einmal darum, die eigentliche Absicht hinter der «»humanitären Nothilfe» zu verschleiern: «Das Ziel dieser Massnahme [der Nothilfe] besteht darin, die betroffenen Personen zur Ausreise aus der Schweiz zu bewegen.» (Medienmitteilung vom 20. Mai 2010)
Im September 2020 haben Betroffene aus der ganzen Schweiz ein Dossier zum Asylsystem der Schweiz verfasst, mit Dokumentationen zur Nothilfe und zu Asyllagern in verschiedenen Kantonen, darunter auch Basel-Stadt. Die Betroffenen fassten unter dem Titel «In diesem System kann kein Mensch leben – Wir können nur noch atmen!» detaillierte Forderungen rund um die Nothilfe sowie die Gewalt und die elenden Bedingungen in den Asyllagern zusammen und überreichten das Dossier dem Bundesparlament am 7.9.2020. Die Demo, mit der die Betroffenen eine Antwort vom Parlament einforderten, wurde von der Polizei zusammengeschossen – aufhalten konnte sie sie aber nicht. Stehen wir weiter ein für eine direkte Solidarität mit geflüchteten Menschen!
Stimmen von Betroffenen zur Nothilfe findet ihr unter anderem hier:
- Dossier «In diesem System kann kein Mensch leben – Wir können nur noch atmen!», 2020
- SRF Virus «Saeed kämpft für ein normales Leben», 2020, Portrait über einen Aktivist von Stop Isolation (Bern)
- Exilia Films – Voix d’asile, Zeug*innenberichte in kurzen Videos. «Anna» berichtet von ihren 13 Jahren in der Nothilfe: https://asile.ch/temoignages-video/
Wissenschaftliche Studien
- Jana Häberlein (Terre des Hommes Schweiz): Abgewiesene Asylsuchende in der Nothilfe: wie weiter? Ein Bericht zur Situation von Nothilfebezüger*innen in der Region Basel, Basel 2020.
- Urs Ruckstuhl, Jonathan Büchi, Fabienne Davallou, Regular Flury, Johannes Schmuck, Claudia Wilopo: Das Nothilfesystem für abgewiesene Asyl-Suchende – ein Bericht zu den psychischen Gesundheitsfolgen, Zürich 2020.